SENEGAL & GAMBIA
24. August 2020TANZANIA
25. Oktober 2020
RAPA NUI (Osterinseln)
Selbstfindung zwischen polynesischer Identität und chilenischer Sozialhilfe
Nach einer wochenlangen Reise, die uns von Montevideo in Uruguay, via Buenos Aires ganz in den Süden des Kontinents bis nach Kap Horn und von dort nordwärts in die Atacama Wüste führte, möchten wir noch an den östlichsten Punkt Polynesiens, der zur Chile gehörenden Oster-
insel oder auch Rapa Nui genannt, besuchen. Das bedeutet nochmals fünf Stunden Flug von Santiago de Chile nach Westen. Im sogenannten Salpeterkrieg im 19. Jhdt. okkupierte Chile alle vor seiner Küste liegen-
den Inseln und verleibte sich diese, gemeinsam mit einem Teil Bolivi-
ens, ins eigene Staatsgebiet ein. Im 21. Jhdt. besinnen sich die Einwoh-
ner dieser Inseln aber immer mehr auf ihre ursprüngliche Identität. Jetzt erfährt Chile als Staat das gleiche Aufbegehren indigener Gruppen, das es selbst gegen die spanischen Kolonialherren gezeigt hat.
Im Gegensatz zu den südamerikanischen Ureinwohnern der meisten Inseln, ist die weit im Pazifik liegende vulkanische Osterinsel allerdings polynesisch geprägt und wird von seinen Bewohnern Rapa Nui ge-
nannt. Und genau dieses polynesische Erbe ist es, das Rapa Nui eine für die Größe und Infrastruktur der Insel bedrohliche Touristenschwem-
me beschert. Es sind die fast 900 Steinskulpturen aus dem 13. bis 16. Jhdt., deren Identität immer noch nicht zweifelsfrei geklärt ist, die aber weltberühmt sind – die Moais.
Schon bei der Ankunft am Flughafen von Hanga Roa, werden wir, nachdem wir die saftige Nationalparkgebühr in bar bezahlt haben, von unserer Gastgeberin mit einem typischen poly-
nesischen Blumenkranz empfangen. Nach einem kurzen „small talk“ und einer Orientierungsfahrt durch Hangaroa erreichen wir unser
Guesthouse, einfach, aber sauber und nett. Die zwei Kilometer bis in die Stadt sind ein netter Spaziergang, den wir gleich zu Beginn ma-
chen. Das Zentrum der kleinen Stadt bildet der Hafen, an dessen Pier drei Tauchschulen um die Gunst der Touristen werben. Wir haben un-
sere schon vorab ausgesucht und möchten für unsere morgigen Tauch-
gänge noch Details besprechen.
Unser Anbieter soll angeblich von ei-
nem Mitarbeiter von Jaques Costeau gegründet worden sein, was si-
cher keine schlechte PR in einem hart umkämpften Markt ist. Nach Klärung der Details für die Tauchgänge am nächsten Tag setzen wir uns in eine kleine Strandbar und genießen den Rest des Tages. Früh am Morgen sind wir wieder am Pier und richten unsere Ausrüstung für die Tauchgänge.
Mit einem kleinen Boot geht es ca. einen Kilometer vor die Küste und wir lassen uns ins Wasser plumpsen. Die Sicht ist phänomenal, was hier weit draußen im Pazifik und einer Insel ohne Flüsse ja nicht ver-
wunderlich ist. Allerdings liegt Rapa Nui auch relativ weit vom Humboldt Strom weg, was zwar eine klare Sicht und warmes Wasser bedeutet, aber auch wenig Nährstoffe in Form von Plankton und deshalb relativ wenig marines Leben. Die Unterwasserlandschaft ist geprägt vom Vul- kanismus und durchaus dramatisch. Breite Lavaströme längst vergan-
gener Eruptionen wälzten sich von der Insel ins Meer und bilden fantas-
tische Canyons und Abhänge. Auch die eine oder andere Meeresschild-
kröte begrüßt uns, allerdings nur wenige Fische. Der Höhepunkt des Tauchgangs ist der vor der Küste versenkte Moai, von dem ich aller-
dings schon vorab gelesen hatte, dass er aus Zement ist und von den Tauchschulen als Attraktion dort absichtlich versenkt wurde.
Den angebrochenen Tag möchten wir mit einer Wanderung fortsetzen. Diese soll uns auf den höchsten Berg der Insel bringen, den wenige hundert Meter hohen Cerro Pui. Dazu fährt uns unsere Vermieterin, die auch Taxi fährt und eigentlich auch sonst alles organisiert, was wir un-
ternehmen möchten. Faszinierend ist die Flexibilität der Dame, die unter Tags in einem Amt arbeitet, aber immer Zeit hat, wenn man eine Taxi-
fahrt braucht. Als ich sie darauf anspreche, meint sie nur, dass hier al-
les, auch Arbeitsanwesenheit, sehr „dehnbar ist. Sie bringt uns zum Rapa Nui Nationalpark in Ahu a Akivi wo wir nochmals Eintritt bezahlen und auch die ersten richtigen Moais zu sehen bekommen. Eine An-
sammlung von sieben Moais, die auf den Ozean schauen. Die Legen-
den um diese Moais sind so vielfältig wie abenteuerlich.
Schwierig ist deshalb die Wahrheitsfindung, da die Insulaner keine schriftlichen Quellen hinterlassen haben und alles nur mündlich über-
liefert ist. Fest steht, dass die Kultur unterging. Ziemlich sicher ist auch, dass die Ressourcen der Insel nicht mehr ausreichten um die Bevöl-
kerung zu ernähren. Ob es Kriege, die Abholzung, Missernten oder etwas von allem war, lässt sich nicht mit allerletzter Sicherheit sagen. Ähnliche Schicksale haben ja schon das Reich der Mayas und die Khmer-Kulturen im heutigen Kambodscha erlebt – Opfer des eigenen Erfolgs zu sein!
Der erste der die Moais erforschte, war der Norweger Thor Heyerdhal, der auch auf diesem Weg beweisen wollte, dass Süd-
amerika von Polynesien aus besiedelt wurde. Der Nachweis gelang ihm allerdings nicht, da die ständig von Osten blasenden Passatwinde das nur schwer möglich gemacht hätten.
Es gab weitere Forschungen zu diesem Thema, allerdings schaffte es erst Hollywood mit dem Film von Kevin Costner einen Hype auszulösen, der die Insel nachhaltig verändern sollte – nicht nur zum Guten. Plötzlich bekamen Statisten für kleine Filmrollen ein Vielfaches dessen, was sie sonst verdienen.
Nachdem Hollywood weg war, viel dabei verdiente und den ganzen Müll auf der Insel hinterlassen hatte, begann die Suche, wie man aus der Berühmtheit auch Kapital schlagen kann. Die Lösung war der Tourismus. Der Spagat zwischen Kitsch und Nachhaltigkeit scheint bis jetzt halbwegs zu gelingen, aber viel mehr verträgt die Insel sicher nicht, ohne zu einer Art „Disneyland“ zu werden.
Im Prinzip kommen wir ja aus dem gleichen Grund hierher und beginnen unsere Wanderung bei den Moais in dem wir gleich einmal den falschen Weg einschlagen. Erst nach einer halben Stunde bemerken wir, dass wir in der Graslandschaft irgendwie keinen Weg finden und beschließen, einfach gerade hinauf auf den Berg zu wandern. Das hohe Gras wiegt im Wind, Pferde grasen friedlich und am Horizont der tiefblaue Ozean. Wir fühlen uns wirklich wie am Ende der Welt. Nach einer Stunde erreichen wir einen Vulkankrater und sehen jetzt auch den richtigen Weg, der etwas weiter östlich über den Kamm geführt hätte. Der Überblick über die Insel ist gewaltig und beeindruckend. Zum Abstieg nehmen wir den Normalweg und kommen schließlich wieder bei den sieben Moais an. Da es noch früh ist, beschließen wir, den Küstenpfad entlang bis nach Hanga Roa zurück zu laufen. Immer wieder passieren wir „Ahus“ – traditionelle Ritualplätze aus früherer Zeit. Am Weg zurück haben wir in der Nähe der Hauptstadt noch genügend Zeit die Jugendlichen beim Surfen in der Brandung zu beobachten, die hier nach Feierabend noch etwas Abwechslung suchen. Am Ortsrand angekommen, setzen wir uns in ein nettes, von einer Belgierin geführtes Lokal, essen vorzüglich und schauen den locals beim Surfen zu.
Für den nächsten Tag ist eine Wanderung zum Rano Kau Krater ge-
plant, eine auf 410 m hoch gelegene wassergefüllte Caldera, wo sich das berühmte Rennen rund um den Vogel-Kult abgespielt hat. Dies ist aus Petroglyphen überliefert. Dazu kletterten die jungen Männer des Dorfes die steilen, fast senkrechten Klippen ans Meer hinab, drei Kilo-
meter zu einer vorgelagerten Insel schwimmen, um dort das erste Vo-
gelei der Saison zu holen. Dazu mussten die Burschen aber auch noch auf der Insel eine waghalsige Kletterpartie rauf und runter hinlegen, oh-
ne dass das Ei zerbrach. Wieder den ganzen Weg zurückschwimmen, auf die Caldera klettern und dort das Ei den Dorfältesten abgeben. Der Häuptling jenes Familienclans, dessen Mitglied als erstes das Ei zurückgebracht hat, war für dieses Jahr das Stammesoberhaupt.
Dass als Lohn auf den Sieger Ehre und die schönste Jungfrau im Dorf wartete – wird auch erzählt, falls es nicht so war, ist es sicher eine sehr schöne und dramatische Geschichte, die die Jahrhunderte überlebt hat und auch weiterhin so erzählt werden wird. Am Kraterrand selber gibt es allerdings nicht nur Geschichten für das Herz, sondern auch ein Kultur-
zentrum und eine archäologische Ausgrabung und Erklärungen dazu, die sehr interessant sind. Zudem hat man von diesem südlichsten Punkt der Insel einen fantastischen Blick über die ganze grasbewachsene Insel und die einzig nennenswerte Siedlung Hanga Roa. Nach einem Rundgang am Krater, wandern wir wieder talwärts, am Flughafen vorbei, durchqueren Hanga Roa und setzen uns in dasselbe Restaurant wie am Vortag und genießen unseren letzten Abend.
Am nächsten Morgen packen wir unsere Sachen. Nach dem Frühstück bringt uns eine am Vortag ausgehandelte Taxifahrt rund um die Insel zu den anderen wichtigen Stätten der Insel. Als erstes kommen wir zu ei-
ner Kultstätte, die durch einen Tsunami aber fast vollkommen zerstört wurde. Dann erreichen wir den Steinbruch, Rano Raraku, aus dem die Moais geschlagen wurden. Duzende fertige und halbfertige Figuren stehen und liegen weitläufig herum. Hier kann man sehen, dass die Kultur ganz plötzlich abbrach und der Ort in kürzester Zeit aufgegeben wurde. Hinter dem Steinbruch liegt ein kleiner Kratersee, der noch heu-
te das Zentrum eines Wettkampfs bildet, bei dem junge Leute versu-
chen die alten polynesischen Traditionen wieder zu beleben und mit einem Wettschwimmen und einem Lauf rund um den See den Sieger ermitteln. Jungfrau gibt’s heutzutage dafür allerdings keine mehr…….
Etwas weiter stehen die berühmten, wieder aufgerichteten Moais von Ahu Tongariki. Auch sie wurden vor langer Zeit vom selben Tsunami umgeworfen, aber mit der Hilfe japanischer Archäologen und industriellen Sponsoren mit schwerem Gerät wieder aufgerichtet. Der Anblick ist majestätisch und da wir die ersten Touristen des Tages sind, äußerst gefühlvoll. Die Lichtstimmung, die grasenden Pferde und sonst nichts.
Als letzte Stätte besuchen wir den einzigen Strand der ganzen Insel, Anakena, wo vermutlich die erste Moais errichtet wurden. Sie blicken aufs Meer und man nimmt an, dass Sie an dieser einzigen Landungsstelle die Besucher willkommen hießen, aber auch mit dem Blick aufs Meer alles schlechte von der Insel fern halten sollten. Die Statuen und die wenigen Kokospalmen zaubern sogar etwas Südseefeeling auf die Insel, die sonst so überhaupt nicht tropisch wirkt.
Mit einem Mittagessen in Hanga Roa und dem anschließenden Transfer zum Flughafen endet unser kurzer, sicher extravaganter, aber äußerst spannender Abstecher von Chile nach Polynesien, den wir aber nicht missen möchten.
Euer Gerhard Rieder