KAUKASUS – Teil 1
15. Juli 2021USA – Nordwest
19. Juli 2021
KAUKASUS
Teil 2 - Armenien-
von Tiflis nach Jerewan
Nun ändert sich auch die Landschaft. Wir verlassen das Hügelland und fahren über den kleinen Kaukasus. Die Berge werden schnell höher, dichter Wald säumt die Straße und die Warnhinweise zum Wildwechsel werden zahlreicher. Auf verschiedenen Werbetafeln werden Ferienorte in der Umgebung beworben, dazu Informationen über die Fauna der Gegend. Wölfe, Bären, Hirsche und Wildschweine, sowie Fliegenfischen sind die häufigsten Sujets auf den Plakaten. Wir genießen die Fahrt durch das Gebirge und legen auch eine Mittagspause ein, damit sich der Fahrer etwas von der kurvigen Straße erholen kann. Nach einiger Zeit scheinen wir den Scheitelpunkt der Fahrt erreicht zu haben und fahren in ein mehrere Kilometer langes Tunnel. Unbeleuchtet, Wasser von der Decke rinnend, Baustellen ohne Sicherung, überholende Fahrzeuge …….. aber schließlich kommen wir heil am anderen Ende an.
Allerdings fahren wir jetzt nicht wie vermutet abwärts, sondern erreichen eine Hochebene, die viel kahler und trockener ist, wie der bewaldete Kaukasus zuvor. Bald sehen wir einen großen, wunderschönen, blauen See auf der linken Seite, den Sewan See. An der Straße stehen Buben an Ständen und bieten frisch gefangene Forellen beachtlicher Größe zum Kauf an. Noch bevor mir Gedanken zur Geschichte Armeniens in den Sinn kommen, erinnern mich die Berge mit ihren wild zerklüfteten Gräben und Schluchten an die tektonische Unruhe unter dem Land, wo sich die arabische Platte unter die Eurasische Erdplatte schiebt und immer wieder schwere und verheerende Erdbeben auslöst. Das Gebiet der Armenier ist wesentlich größer als der heutige Staat und hat eine wechselvolle und teils grausame Geschichte.
Von der frühen Antike weg, über Alexander den Großen, Spielball zwischen Römern und Parthern, Perser, Russen und Osmanen – so gut wie alle haben hier ihre Spuren hinterlassen. Nur eines war unveränderlich – der feste christliche Glaube hielt sich über die Zeiten bis heute.
Nun geht unsere Fahrt langsam dem Ende entgegen. Wir erreichen die Vororte von Jerewan und mir geistern plötzlich diese komischen „Radio Jerewan Witze“ aus meiner Kindheit durch den Kopf. Fern am Horizont sehe ich das Wahrzeichen Armeniens – den großen und den kleinen Ararat. Der Schönheitsfehler ist nur, dass beide Berge heute auf türkischem Staatsgebiet liegen. Mein Chauffeur fragt mich, wo ich den übernachte und ich zeige ihm meinen Hotelvoucher, der auch in der sehr seltsamen georgischen und auch der noch seltsameren armenischen Schrift Auskunft gibt.
Er betrachtet den Voucher, sagt, dass er dieses Hotel nicht kennt, aber mich am größten und wichtigsten Verkehrsknotenpunkt der Stadt aussteigen lassen möchte, wo ich leicht ein Taxi bekomme. Das klingt gut und wird auch so gemacht. Ein riesiger Kreisverkehr, an dem alle Ausfallstraßen aus und nach Jerewan zusammenkommen. Noch während ich mich von meinen russischen Begleitern verabschiede, bleibt schon ein Taxi neben mir stehen und bietet seine Dienste an. Ich zeige dem Fahrer meine Hotelreservierung und in gebrochenem Englisch fragt er mich, ob ich den wirklich in dieses Hotel möchte. Ja, möchte ich. Gibt es etwas, das dagegen spricht? Der Hotelpreis ist natürlich meinem Reisebudget angepasst. Nein, das Hotel sei OK, aber ob ich wirklich dorthin möchte? Ja, will ich! Wieviel kostet es denn? So ca. 2-3 Dollar sei der Fahrpreis.
Na, dann fahr los! Er legt den ersten Gang ein und rollt sein Taxi ca. 70 Meter weit in eine versteckte Einfahrt, in der sich das Hotel befindet! Volltreffer! Ich Idiot nehme mir ein Taxi für eine Fahrt von 10 Sekunden. Nach der ersten Überraschung bekomme ich einen Lachkrampf in den der Taxler auch einstimmt und ich gebe ihm 5 Dollar – das war der Spaß wert. Zu Fuß erkundige ich die Altstadt von Jerewan, die nur wenige Gehminuten vom Hotel entfernt liegt. Viele alte Kirchen zeugen von der jahrhundertelangen christlichen Tradition dieses Kaukasuslandes. Die berühmte Geschäftstüchtigkeit der Armenier kommt in den vielen Geschäften und Läden links und rechts der Straßen zum Vorschein, wo mit viel orientalischer Gestik und okzidentalem Kalkül zwischen potentiellen Kunden und den Verkäufern verhandelt wird.
In meinem Reiseführer lese ich, dass morgen der Nationalfeiertag Armeniens ist und die 25jährige Selbstständigkeit und Loslösung von der UdSSR gefeiert wird. Das ist gut sichtbar, denn in der Innenstadt beginnt Militär die Stadt für eine Parade zu richten. Hinter der Altstadt beginnt ein modernes Viertel und ich bin überrascht über die schicke Fußgängerzone, die im ersten Moment so gar nicht in dieses Stadtbild passt. Schicke Boutiquen, edle Restaurants und gestylte Leute prägen das Bild. Gemütlich lasse ich den Tag bei einem guten Abendessen ausklingen und im Gedanken nochmals Revue passieren.
Der nächste Tag beginnt mit der Erkenntnis, dass die Leute hier ihren Nationalfeiertag etwas anders feiern wie bei uns. Abertausende Leute verstopfen die Innenstadt, Hundertschaften von Soldaten prägen das Bild und alle warten auf die große Militärparade. Das ist nichts für mich und ich mach mich auf den geplanten Weg zur „Hop on Hop off“ Bushaltestelle, wo man mir aber erklärt, dass wegen der Parade heute keine Fahrten stattfinden. Ich frage die Dame, ob sie mir mit einem Taxler eine Fahrt und einen Preis für eine Rundfahrt aushandeln kann, was auch schnell erledigt ist. Mein Chauffeur kann zwar nur sehr wenig Englisch, ist aber instruiert, was er mir, sofern machbar, zeigen soll. Der Preis von 25 Dollar passt auch und so sitze ich in einem alten Mercedes, der uns auf einen Hügel über der Stadt bringt.
Neben den für ehemalige sowjetische Landeshauptstädte typischen Fernsehturm(*39/*40) und der üblichen riesigen „Überlandesmutterstatue“ habe ich hier einen sensationellen Ausblick über die Stadt und bis über die türkische Grenze zum kleinen und großen Ararat, deren vergletscherte Krater hell in der Sonne leuchten. Auf der Fahrt zum nächsten Hügel werde ich mit dem schmerzhaftesten Teil der armenischen Geschichte konfrontiert. Das Genozid Denkmal, das an die Ermordung abertausender Armenier 1915 durch die Osmanen erinnert und bis heute sehr schwer an der Beziehung beider Länder nagt. Nach einigen besinnlichen Minuten werde ich durch laut anschwellendes Dröhnen über mir in die Realität zurückgeholt.
Mehrere Verbände von Kampfjets donnern in Formation über unsere Köpfe. Der Höhepunkt der Parade. Mein Chauffeur erklärt mir, dass die MIGs und Suchojs bis ganz dicht an die türkische Grenze zum Ararat fliegen, als Zeichen, dass Armenien dieses Nationalsymbol nie aufgeben wird. Auch dem verfeindeten Aserbaidschan soll dieses martialische Spiel Stärke demonstrieren. Dass hier auch russische Kampfjets mitfliegen erklärt die hohe Zahl der Flieger am Himmel. Russland ist die wichtigste Schutzmacht Armeniens, während der Nachbar Aserbaidschan traditionell und kulturell von der Türkei unterstützt wird.
Zurück in der Stadt, sind sowohl die Parade, wie auch meine Fahrt vorüber und schnell wird es ruhiger. Familien spazieren am Feiertag durch die Stadt, die Kinder schlecken Eis und der Alltag kehrt in Jerewan wieder ein. Noch ein Besuch der wichtigsten und größten Kathedrale des Landesund ein frühes Abendessen, bevor mich in der Nacht ein Taxi zum Flughafen bringen wird und eine kurze, aber interessante Reise zu Ende geht.
Euer Gerhard Rieder