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18. Februar 2021AUSTRALIEN Queensland
8. April 2021
NEUSEELAND (Nordinsel)
Aoteoroa – Land der langen weißen Wolke oder die Erkenntnis, dass chinesische Hausschuhe auf Schnee nichts taugen
Ein perfekter Südfrühling beschert uns im November eine wunderschöne Reise durch die Nordinsel Neuseelands. Anfangs lassen wir Auckland gleich hinter uns und fahren direkt nach Norden, um dort die ersten drei Tage zu verbringen. Faszinierende Tauchgänge auf den Poor Knights Islands, dichte Kauri-Wälder und Waitangi, jene historische Stätte in der Neuseeländischen Geschichte, wo die Briten 1840 mit den lokalen Maori den ersten Vertrag über eine gemeinsame Heimat unterzeichneten. Da der ursprüngliche Vertrag viele Vorteile für die Briten, aber wenig Gutes für die Maori beinhaltet, wird dieser in letzter Zeit ständig modifiziert, damit sich die Waagschale mehr auf „Gerechtigkeit“ bewegt. Ein enormer Lernprozess für die meist anglosächsisch abstammenden Neuseeländer, aber auch für die tausenden von Zuwanderern aus aller Welt, vor allem aus dem pazifischen Raum.
Der Tauchausflug zu den Poor Knight Islands entpuppt sich als absoluter Hit. An dieser Inselgruppe am 40. südlichen Breitengrad trifft die EAC (East Australian Current), eine tropische Meeresströmung, die am Australischen Barriere Riff entsteht, auf das letzte Landhindernis, bevor sich diese in den Weiten des Südpazifiks abkühlt und auflöst. Mit der Strömung gelangen Tonnen von Plankton in die sonst kühlen Gewässer vor der neuseeländischen Ostküste aus denen sich dann, für diese Breiten ungewöhnlich, tropische und subtropische Fische und Pflanzen entwickeln. Aufgrund des relativ kalten Umgebungsgewässers können sich die hier „fremden“ Fische aber selbst nicht fortpflanzen. So sind Flora und Fauna ständig auf den Nachschub aus Australien angewiesen. Ähnlich dem Golfstrom in Europa, beschert auch der EAC, vor allem der Südinsel, ein für diese Breitengrade sehr mildes Klima.
Nach unseren Tauchgängen wieder zurück am terrestrischen Neuseeland, geht es nun um die Coromandel Halbinsel, an der die meisten Touristen achtlos vorüberfahren. Aber gerade dieses Stück Nordinsel besticht durch seine faszinierende Landschaft, seine extensive Besiedelung und Ursprünglichkeit. Kein Wunder also, dass es hier auch viele Schutzgebiete für Neuseelands Nationalvogel, den Kiwi, gibt. Wie fast alle Vogelarten auf den Inseln Neuseelands verloren sie, aufgrund mangelnder Fressfeinde, die Fähigkeit zu fliegen. Millionen von Jahren später sollte sich das bitter rächen, als mit der Eroberung durch den Menschen mehr und mehr unerwünschte Lebewesen mit auf die Inseln gelangten. Ratten, Wiesel, Füchse und Hasen waren so ziemlich das Schlimmste für die Vogelwelt Neuseelands. Auf der Coromandel Halbinsel sind auch die typischen Klischees des Landes erstmals dominierend. Statt den vielen Milchrindern sieht man hier vor allem Schafe und die unberührten Sandstrände und Buchten des Hauraki Golfs.
In den Restaurants in den kleinen Fischerdörfern gibt es frischen Fisch und Meeresfrüchte, dazu ein gutes Glas Chardonnay von der Südinsel und perfekt ist das Urlaubsfeeling. Auf der Fahrt wird man ständig an den langen Zwist zwischen den Interessen der Siedler und der Maori erinnert – Bergbau gegen Haka Ritualplätze, Holzindustrie gegen heilige und tabuisierte, gigantische Baumriesen. Aber auch hier schließen sich diese ideologischen Gräben in vernünftigen Dialogen und fairen Verträgen immer mehr. Als bestes Beispiel dazu dient wohl die berühmteste Sportmannschaft des Landes – die „All Blacks“ – das Rugbynationalteam Neuseelands, welches mit seinen faszinierenden Haka-Ritualen die Gegner schon vor Spielbeginn einschüchtert. Wir queren die Nordinsel und erreichen unser nächstes Ziel– den Mount Taranaki. Dieser singulär in der Landschaft stehende 2.518 m hohe Stratovulkan mit seiner
perfekten Spitzkegelform, ist so dominierend, dass er sogar vom Weltraum aus leicht zu erkennen ist. Er bildet eine Halbinsel an der Westküste Neuseelands und mit seinen zweieinhalb Kilometern Höhe fängt er auch dementsprechend viele Wolken aus der Westwinddrift, die seinen Gipfel fast das ganze Jahr über in leuchtendem Weiß erstrahlen lassen. Hat die Lage des Vulkans im Abseits aller anderen Berge auch rein tektonische Gründe, so beschreibt die Maori Sage einen Streit und eine unerfüllte Liebe zwischen den Berggöttern Tongariro und Taranaki um die schöne Waldgöttin Pihanga, die damit endete, dass Taranaki seine Angebetete nicht bekommen konnte und enttäuscht den einsamen Platz suchte, auf dem er heute steht. Vulkane gibt es auf Neuseeland allerdings viele, da die Inseln mitten auf dem pazifischen Feuerring liegen, dem tektonischen Rand der pazifischen Platte, die nicht nur viele Vulkanausbrüche und Erdbeben mit sich bringt, sondern auch angenehme geothermale Quellen,
die den Neuseeländern unbegrenzt warmes Wasser und billigen Strom schenken. Auf der Suche nach dem damals vermuteten, unbekannten Südkontinent, den der berühmte James Cook zwar nicht fand, vermaß er aber Neuseeland sehr genau und nannte diesen Vulkan Mount Egmont. Heute trägt nur noch der umgebende Nationalpark diesen Namen, während der Berg wieder seinen klassischen Maorinamen hat. Schon am Vorabend finden wir uns bei der Nationalpark Zentrale ein, registrieren und erkundigen uns über das zu erwartende Wetter für den nächsten Tag und werden noch mit ein paar Tipps zur zwar relativ leichten, aber nicht ungefährlichen Besteigung versorgt. Besonders jetzt, wo ab einer Höhe von 2.000 m der Berg ziemlich vereist ist, ruft man uns ins Bewusstsein, dass auf keinem Berg in Neuseeland so viele Bergsteiger ums Leben kommen wir hier.
Nach einer kurzen Nacht in einem günstigen Motel, fahren wir noch bei Dunkelheit wieder in den Nationalpark und beginnen die Besteigung bei einfallendem Tageslicht. Führt uns der Weg zuerst noch durch dichten Wald, finden wir uns schon bald auf einem Anstieg über hunderte von Holzstufen, die die Nationalparkverwaltung als Aufstiegshilfe geschaffen hat, um den Boden vor Erosion zu schützen. Am Ende der Stufen mühen wir uns auf felsigem Untergrund weiter, bis vor unseren Augen eine Schutzhütte des Neuseeländischen Alpenvereins auftaucht, die gerade von ein paar Alpinisten verlassen wird. Ein kurzes Hallo und ein kurzes Gespräch über die Herkunft, das Wetter und der übliche Smalltalk folgen. Wir bleiben noch für eine kleine Rast im Vorraum der Hütte, die voll mit Bildern und Andenken an den wohl berühmtesten aller neuseeländischen Bergsteiger ist – Sir Edmund Hillary – einem Bienenzüchter, dem 1953 zusammen mit dem nepalesischen Sherpa Tenzing Norgay die Erstbesteigung des höchsten Berges der Erde – des Mount Everest – glückte.
Beim Anblick der kleinen neuseeländischen Alpinistengruppe bekommen wir Zweifel, da die mit Steigeisen und Pickeln, wir aber nur mit Wanderstöcken ausgerüstet sind. So beschließen wir, vorerst einmal bis zur Schneegrenze zu gehen und dann zu entscheiden. Die Neuseeländer holen wir nach einer knappen Stunde wieder ein, noch vor der Schneegrenze. Diese entpuppt sich zwar als vom Wind ziemlich hart gefegt aber trotz der Steilheit des Berghangs gut begehbar. So arbeiten wir uns stoisch weiter bergauf, bis wir am Kraterrand stehen. Der Wind macht eine Verständigung nur durch zurufen möglich, es ist sehr kalt, aber ein wunderschöner Tag mit dunkelblauem Himmel. Von hier oben sehen wir nun auch die seltsame Form des Egmont Nationalparks, der wie mit einem Zirkel gezogen kreisrund um den Vulkan einen Ring aus Wald bildet, während das Land dahinter bis zum Horizont mit Milchfarmen bedeckt ist. Diese Farmen werden auch immer mehr zum Umweltproblem, das sich Neuseeland erst seit kurzem eingesteht. Zu viele Kühe, zu hohe
Milchproduktion, zu viel Gülle, die das Wasser belastet. Kommt uns irgendwie bekannt vor. Aber nun genießen wir den Ausblick und das Alleinsein am Gipfel des Taranaki. In der Ferne können wir seinen Widersacher, den Tongariro gut erkennen, den wir übermorgen besuchen werden.
Der Abstieg auf dem sehr steilen und eisigen Untergrund entpuppt sich stellenweise als heikel, die meisten Schneefelder rutschen wir aber auf den Schuhen oder am Hosenboden zu Tal. Bald sind wir wieder im Fels und bei den Holztreppen. Wir trauen unseren Augen nicht! Vorwiegend chinesische Touristen strömen uns mit Badelatschen, Handtäschchen und Sonnenschirmen entgegen. Es ist bereits nach Mittag und mit hochrotem Kopf fragen sie uns ob es noch weit bis zum Gipfel ist. Jetzt werden uns die Warnungen des Rangers von gestern verständlicher. Aber das soll nicht unser Problem sein.
Am nächsten Tag schließen wir das Thema Taranaki mit einem Frühstück in New Plymouth und einer Umrundung der Halbinsel mit dem Auto ab, bevor wir die ca. 150 Kilometer zu den landschaftlichen Höhepunkten der Nordinsel aufbrechen. Eine Fahrt durch unendliche Wälder, wunderschöne Landschaften bringt uns zum größten See der Nordinsel, dem Lake Taupo und dem Tongariro Nationalpark. Hier ist die 20 km lange „Tongariro Alpine Crossing“ unser Ziel, eine kräftige Tageswanderung am Grat zwischen drei Vulkanen entlang. Erst seit kurzem ist nach einem Ausbruch des „Te Mari Crater“ der Weg wieder in voller Länge begehbar und wir sind erwartungsfroh ob der schönen Gebirgslandschaft mit seinen berühmten leuchtenden Seen.
Der Tag wird ein Reinfall! Zwar bewältigen wir den Weg spielend, allerdings mit aberhunderten anderen Touristen aus aller Welt, die sich als nicht enden wollende Menschenkolone mit denselben Erwartungen wie wir, auf den Weg machen. Dazu dichter Nebel, der uns kaum Ausblicke auf die Schönheit der Umgebung gibt. Lediglich der nahe Vorbeimarsch am aktiven und dampfenden Krater des Te Mari entschädigt etwas. Am Nachmittag sind wir froh diesen „Ballerman australis“ wieder verlassen zu dürfen und amüsieren uns in einem netten kleinen italienischen Lokal über diesen Tag.
Vorbei am wunderschönen Lake Taupo, einem mit Wasser gefüllten riesigen erloschenen Vulkankrater, bekannt für seine großen Forellen, die Fliegenfischer aus der ganzen Welt hierher bringen, führt uns unsere Route nach Napier, einer Stadt an der Ostküste der Nordinsel.
Diese Stadt wurde in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts von einem Erdbeben komplett zerstört und dann im damals modernen Art-deco Stil wieder neu errichtet. Eine nette, sehr schöne Kleinstadt am Pazifik mit einem wunderschönen Meeresaquarium. Die nächsten zwei Tage umfahren wir die „East Coast“, den wohl einsamsten Teil der Nordinsel. Auch hier kaum Touristen und eine dementsprechend bescheidene Infrastruktur. Wir müssen sogar einmal dreißig Kilometer zurückfahren, da wir die letzte Tankstelle versäumen und die nächste noch über hundert Kilometer weit weg ist. Die herrliche Ruhe, die vielen Maorisiedlungen, die Abgeschiedenheit, der Blick auf den gefährlichsten Vulkan Neuseelands auf White Island werden aber wieder jäh unterbrochen, als wir in Rotorua, einer neuseeländischen Mischung aus Disneyland und Las Vegas, eintreffen. Jetzt hat uns die Zivilisation wieder. Nach einem Spa-Besuch in den heißen Quellen des Lake Rotorua, um die vielen Wanderkilometer besser zu verarbeiten, verlassen wir diesen Ort schnell wieder um noch ein paar Tage in Neuseelands Hauptstadt zu verbringen.
Die Nordinsel hat uns begeistert – auf die Südinsel sind wir schon sehr gespannt.
Euer Gerhard Rieder