KAP VERDE
9. Dezember 2020GRIECHENLAND
19. Januar 2021
Kasachstan
Eine Zugfahrt durch Kasachstan
Dieses mit 2,7 Mio. km² neuntgrößte Land der Erde liegt in Zentralasien und ist bei uns eigentlich fast nur durch die Starts und Landungen der russischen Sojusraketen in Baikonur bekannt. Riesige Steppen, bis über 5.000 m hohe Gebirge und große Salzseen bieten in diesem größten Binnenland der Erde allerdings doch einiges an Abwechslung. Liegen die Salzseen teilweise unter Meeresniveau, so thront der Khan Tengri mit 7.000 Metern im Tien Shan Gebirge mächtig über dem Land. Nimmt man es nach den geographischen Karten ganz genau, wären 5,4 % des Landes am Kaspischen Meer sogar Europa zuzurechnen.
Viel habe ich schon über diese nach Russland größte ehemalige Sowjetrepublik gelesen, vor allem über die in Zentralasien für unseren Geschmack doch seltsamen Personenkulte.
Viele Gründe also um in ein Flugzeug zu sitzen und mir das anzusehen. Das wird auch schon sofort nach der Landung am Flughafen der Hauptstadt „Nursultan“, ehemals Astana, ehemals Zelingograd sofort klar. Sowohl der Flughafen als auch die Hauptstadt tragen den Namen des Staatschefs.
Nursultan Nasarbeijew, bis vor kurzem noch Staatschef des Landes, jetzt Pensionist mit allen Vollmachten, war schon in der Sowjetzeit das Oberhaupt von Kasachstan und lenkte nach 1991 mit viel Geschick und der Unterstützung des Geheimdienstes, sein Land durch alle Wirren bis in die heutige Zeit. Die Einreise gestaltet sich komplikationslos und obwohl weit nach Mitternacht ist sofort der übliche illegale Taxler an meiner Seite, der mir den besten Transfer der Welt verspricht – kostet nur dreimal so viel wie normal.
Deshalb setze ich in ein ganz normales Taxi und bin geblendet vom unglaublichen Lichtermeer, das mich eher an Las Vegas erinnert. Schon auf der Fahrt über die Boulevards der Stadt zum Hotel sieht man das Geltungsbewusstsein dieses Staates, bzw. dessen Führers. Am nächsten Morgen bei Tageslicht präsentiert sich die ganze Stadt in all ihrer Künstlichkeit, aber auch moderner Architektur vor mir. Eine Mischung zwischen Reisbrett, Disney-Kitsch, Las Vegas und Dubai präsentiert sich vor mir. Pyramiden, Spiegelfassaden, Springbrunnen, moderne Gebäude – trotzdem wirkt alles steril und unnatürlich. Gemütlich schlendre ich durch das Regierungsviertel, vorbei an Museen und Veranstaltungszentren, die meist „seinen Namen“ tragen. Vor dem Präsidentenpalast werde ich von einem netten Herrn in Anzug und Kabel im Ohr nach den Motiven meiner Fotos gefragt. Die Erklärung, dass ich ein normaler Tourist bin, reicht aber vollkommen aus. Das leitet er
offensichtlich auch so über sein Walky-Talky weiter. Er wünscht mir einen schönen Tag und hofft, dass es mir in Nursultan gefällt. Auffallend ist die große Herzlichkeit der Leute, egal ob auf der Straße, im Café oder Restaurant. Kinder, die mich sofort als Tourist erkennen, winken mir zu und Jugendliche wollen ein paar Sätze auf Englisch mit mir wechseln. So vergeht der Tag wie im Zeitraffer und abends falle ich nach vielen gelaufenen Kilometern erschöpft ins Bett. Den nächsten Tag beginne ich mit einem Ausflug auf den höchsten Turm des Landes, der mir einen guten Überblick über die endlose Weite der kasachischen Steppe gibt. Nach einem späten Mittagessen lasse ich mich mit einem Taxi zum Bahnhof bringen, von wo meine Reise ins ca. 1.300 km entfernte Almaty (ehemals Alma-Ata), der größten Stadt des Landes, am Fuße des Tien-Shan Gebirges, per Zug weitergeht.
. Die „normalen“ Züge benötigen für diese Strecke zwei bis drei Tage, deshalb nehme ich, um Zeit zu sparen, den modernen Nachtzug, der die Strecke in 13 h schaffen soll. Mein ursprünglicher Plan, eine Nacht in Prioshersks am riesigen Balskash-Salzwassersee zu verbringen, kann ich aufgrund der komplizierten Zugverbindungen und der etwas unsicheren Lage in einer Sperrzone, sowie fehlender Zeit nicht verwirklichen. Im ehemaligen sowjetischen Atomtestzentrum dürfen offiziell nur Wissenschaftler und Militär
hin. Zwar soll es mit den Kontrollen nicht sehr genau zugehen, aber für „Reisepannen“ fehlt mir einfach die Zeit. Der Bahnhof, innen im klassischen Stalin-Barock der Sowjets, ist sauber und genau nach meinem Geschmack. Überall tummeln sich Reisende, Händler, Souvenir- und Imbissverkäufer, Gepäckträger... Da ich nur mit leichtem Gepäck unterwegs bin, suche ich mir ein ruhiges Plätzchen und gehe in den „Beobachtungsmodus“, den ich so liebe. Irgendwann ist dann auch mein Zug an der Reihe. Durch eine Sicherheitsschleuse geht es auf den Bahnsteig und ich staune nicht schlecht, als ich den supermodernen Zug einer spanischen Baureihe am Gleis einfahren
sehe. Auch mein Schlafabteil mit WC und Dusche ist vom Feinsten. Gleich daneben der Barwagen und dahinter der Speisenwagen. Pünktlich verlassen wir Nursultan und schlängeln uns über unzählige Weichen aus dem Hauptbahnhof, durch mehrere Vorstadtbahnhöfe, bis wir zum Sonnenuntergang endlich die Steppe erreichen, eine Landschaft, die sich die nächsten 13 h nicht ändern wird. Lange schaue ich aus dem Fenster, genieße diese unendliche Weite, nach der sich jemand, der in den Bergen aufgewachsen ist, so sehnt. Als es dann stockdunkel ist, wechsle ich in den Barwagen auf ein Bier und habe noch einen netten Plausch mit ein paar Kasachen, die recht gut Englisch sprechen und einem französisch-irischen Pärchen, das unterwegs nach Kirgistan ist.
Mitten in der Nacht, an einer kleinen Station bekomme ich noch einen 2. Passagier in meine Doppelkabine, der das Bett über mir belegt. Sobald es hell wird nehme ich die Kamera und schleiche mich leise aus dem Abteil, da mein Mitbewohner noch schläft. Der Speisewagen ist noch geschlossen und ich sehe, wie das Zugpersonal sich am Boden mit Decken und Matratzen ihre Schlafstatt eingerichtet hat. Ich genieße die Fahrt durch die Steppe und beobachte Pferdeherden, Jurten, kleine Dörfer mit ein paar Kamelen, die sich ab und zu zeigen. Nach einem guten Frühstück kann ich am westlichen Horizont endlich das Tien-Shan Gebirge erkennen, das sich schneeweiß aus dem flachen Land aufbäumt. Durch die extreme Weite ist mir aber bewusst, dass es noch ein langer Weg dorthin ist, da die Berge hier durchschnittlich vier- bis fünftausend Meter hoch sind. Irgendwann wird die Steppe dann bewaldeter und die Dörfer und Siedlungen werden mehr. Das Gebirge ist näher und deshalb gibt es hier auch mehr Wasser. Nach 14 h treffen wir in „Almaty 2“ ein, so der Name des Bahnhofs.
Im dichten Trubel ist schnell ein Taxi gefunden, dessen Fahrer mir natürlich sofort auch alle möglichen anderen Ausflugsfahrten anbietet. Aber vorerst möchte ich nur ins Hotel. Schon der Weg dorthin zeigt, dass Almaty, die größte Stadt des Landes, natürlich gewachsen ist und viel an Charme und natürlicher Schönheit versprüht. Große Alleen mit alten Bäumen, alte Häuser neben Plattenbauten und sowjetischen Protzbauten, sowie die moderne Architektur des 21. Jhdt. geben der Stadt Stil. Den Nachmittag verbringe ich mit einem gemütlichen Spaziergang und einem Café-Besuch an einer belebten Kreuzung, über der ein großes Portrait des ehemaligen Staatschefs mit ein paar seiner weisen Gedanken hängt.
Für den nächsten Tag hat mir der Concierge meiner Unterkunft einen privaten Fahrer besorgt, der mich etwas ins Gebirge fahren soll. Das Ziel ist ein Gebirgssee, der zur Trinkwasser- und Stromgewinnung gestaut ist und ein sehr schönes Panorama mit den dahinter liegenden Fünftausendern haben soll. Leider spielt das Wetter nicht so mit, trotzdem ist die Szenerie gigantisch. In diesem Gebiet bis hin zur kirgisischen Grenze soll es noch Bären und Wölfe, große Maral-Hirsche und sogar den scheuen Schneeleoparden geben. Über eine steile Straße mit enge Serpentinen geht es hinauf zum See. Dort beschließe ich eine kleine Wanderung zu einer dahinter liegenden Alpe zu machen, komme aber nicht sehr weit, da mir ein Offizieller mit Gummistiefeln und Kalaschnikow den Weg versperrt.
Er möchte aber nur wissen wohin ich möchte und, soweit ich sein russisch richtig deute, mich freundlich bittet nicht auf die andere Seeseite zu gehen und nur auf diesem Weg zu bleiben. Bald bin ich von der gewaltigen Blumenpracht am Wege eingenommen, die nur durch die schrillen Pfiffe der vielen Murmeltiere zwischen den Felsen abgelenkt wird. Der Weg zieht sich einige Kilometer am See entlang, bis kurz vor eine Alpe, die aber aufgrund der frühen Jahreszeit noch nicht besetzt scheint. Erinnert mich der Weg hierher schon sehr an unsere Heimat, so wird dieser Eindruck am Einfluss des Baches, der den See speist, noch verstärkt, stehe ich doch mitten in einer Wiese voller Edelweiß. Lediglich der Ausblick auf die Bergriesen bleibt mir heute verwehrt. Bei meiner Rückkehr winkt mir „Mr. Kalaschnikow“ freundlich zu und mein Fahrer wacht gerade im Auto von einem Schläfchen auf. Für den letzten Tag habe ich mir einen Ausflug zum Scharyn-Canyon vorgenommen. Wieder organisiert mir der Concierge einen privaten Fahrer, der dann auch mit einem Audi 100, mit über 200.000 km am Zähler, pünktlich am Morgen erscheint. Die Fahrt führt nach Osten ins Dreiländereck,
Kasachstan, Kirgistan und China. Entlang des Tien-Shan-Gebirges sieht man schön den zwischen 20 – 50 km breiten fruchtbaren Gürtel, der durch das Schmelzwasser der Berge entsteht. Melonen, Getreide aller Art, Früchte und Viehwirtschaft wohin das Auge reicht. Richtet man den Blick nach Norden, so sieht man den Beginn der Steppe, die immer mehr zu einer Halbwüste wird, je weiter östlich wir fahren. Irgendwann biegen wir nach Nordost ab und sind mitten in einer kargen Halbwüste, wo uns nur mehr ein paar Kamele und Pferde mit Ihrem nomadischen Hirten begegnen. Nach ca. vier Stunden Fahrt kommt dann endlich der Nationalpark „Scharyn“ in Sicht, der aber irgendwie geschlossen zu sein scheint. Der Schranken ist zu, das Häuschen unbesetzt und geschlossen. Wir steigen aus und suchen einen Wärter, den wir dann auch schlafend hinter dem Häuschen finden. Zuerst scheint es so, dass heute geschlossen ist, aber mit etwas freundlichem Zureden, der Bezahlung der
Eintrittsgebühr und einem extra 5- Euroschein öffnen sich dann doch die Pforten für uns. Der Canyon selber ist ein tektonischer Riss in der Erde und nicht von einem Fluss ausgewaschen. Deshalb ist er anfangs auch nur schwer zu erkennen, umso imposanter dann aber beim Betreten. Zuerst marschiere ich mit meinem Fahrer, der auch das erste Mal hier zu sein scheint, ein paar Kilometer in den Canyon. Bei der Rückkehr zum Auto möchte er im Auto warten, während ich noch am Canyonrand bis zur ca. 3 km entfernten Biegung gehen möchte. In der Zwischenzeit ist der Nationalpark auch regulär geöffnet, da zwei Busse mit Schulklassen und einige andere wenige Besucher am Parkplatz sind. Der Ausblick von oben in den Canyon und in die Umgebung ist einfach gigantisch und man fühlt sich so unendlich klein. Wieder am Parkplatz beginnen wir die Fahrt zurück nach Almaty. Mein Fahrer deutet mir an, dass er
jetzt zuerst aber dringend was essen muss. Nach einer Stunde stoppen wir am Straßenrand bei einem kleinen Imbiss. Am offenen Grill dreht jede Menge Fleisch seine Runden. Da ich weder Kasachisch noch die lingua franca Russisch verstehe, die Cyrillische Schrift auch nicht lesen kann, nehme ich einfach eine Cola und eine Tüte Erdnüsse. Mein Fahrer besteht aber darauf, dass auch ich etwas Ordentliches esse und bestellt einfach für mich mit. Das begeistert mich gar nicht, aber natürlich möchte ich nicht unfreundlich sein und füge mich meinem Schicksal. Da ich weiß, dass so ziemlich in jedem Fleischgericht „Pferd“ die Hauptzutat ist, denke ich mir einfach, ich wäre ein Mongole und hier mit Dschingiskahn auf Durchreise. Mein Essen entpuppt sich als sehr schmackhafte Suppe mit kleinen Fleischnockerln, die absolut super schmeckt – Pferd hin oder her.
Nach einem langen Tag erreichen wir wieder Alamty. Bei einem Bier genieße ich den letzten Abend auf der Terrasse meiner Unterkunft mit einem schönen Ausblick auf das Tien-Shan Gebirge - der Kurztrip nach Kasachstan hat sich auf alle Fälle gelohnt.
Euer Gerhard Rieder