USA – Nordwest
19. Juli 2021Neu im Blog: Albanien per Zug …
7. Oktober 2021
ALBANIEN
Durch das Land der Skipetaren -
Albanien per Zug ... oder von dem, was noch davon übrig ist
Bei einem gemütlichen Fernsehabend mit einem Bericht über die Albanischen Staatsbahnen, kann ich kaum glauben, dass die hier gezeigten Gefährte heute noch auf Europas Schienennetz verkehren. Albanien zu meinen Kindertagen, das war wie der Mars – sehr rot und irgendwo im Weltall. Aber sowas, mehr wie 30 Jahre nach dem Kommunismus? Da eine baldige Reise in den Westbalkan bevorsteht, Albanien auch auf meiner Länderliste steht, entschließe ich mich, diese Zugreise selbst zu unternehmen. Also, der Bericht ist vier Jahr alt, was davon ist heute noch real? Rein ins Internet und suchen – ohne brauchbares Ergebnis. Also weiter zur albanischen Tourismusbehörde, die mir sofort schreiben es zu vergessen, da die Züge sehr alt, dreckig und unsicher sind und nur mehr auf zwei kleinen Strecken verkehren.
Ein paar Wochen später erneuter Versuch rauszufinden, was denn nun wirklich noch in Betrieb ist. Lediglich eines scheint fix, die lange Strecke von
Skodhar nach Durres wird nicht mehr bedient. Das sehe ich auch, als ich mit dem Kleinbus von Skodhar im Norden nach Tirana fahre und des Öfteren die Schienen zu Gesicht bekomme. Die scheinen irgendwo noch zu liegen, meist neben der Straße, überwuchert, teilweise überbaut, aber sicher für einen Zug nicht mehr benutzbar. In Tirana lerne ich einen „Taxler“ kennen, der mir einen guten Preis für die paar Kilometer nach Durres macht und meint, Zug fährt in Albanien keiner mehr. Wer um Gottes Willen wolle den mit einem albanischen Zug fahren? Als er mich am nächsten Tag abholt berichter er mir, dass es offensichtlich doch eine Verbindung von Durres nach Elbasan gibt und die sogar täglich
Also, dann nichts wie hin nach Durres an der Adria. Vor der Erkundung der Stadt und einem erfrischenden Bad im Meer, gehe ich zum Bahnhof und sehe dort schon den Stolz der albanischen Staatsbahnen. Zwei uralte Dieselloks und ca. 8 total abgewrackte, mit Graffiti verschmierte Waggons und großteils fehlenden Fenstern. Als ich die Bahnhofshalle betrete, empfängt mich der kalte Charme des Enver Hoxha, jenes Diktators, der Albanien bis Mitte der Achtziger Jahre total von der Welt isolierte. Ein freundlicher, älterer Herr kommt auch mich zu und fragt mich in gebrochenem Englisch, ob er mir helfen kann. Es stellt sich heraus, dass er Lehrer war und von seiner Pension nicht leben kann, deshalb arbeitet er hier noch für den Sicherheitsdienst. Ja natürlich fährt dieser Zug, jeden Tag um 13:55 h pünktlich nach Elbasan, erklärt er stolz.
Eine Fahrkarte bekäme ich beim Schalter (ein undefinierbares Loch in der Wand) oder direkt im Zug. Er begleitet mich auf den Bahnsteig, wo ich noch ein paar Fotos mache, da ich nicht glauben kann, was für Schrott auf Europas Schienen noch fährt. Er erzählt mir, dass die Loks vor 50 Jahren von der CSSR an Albanien gespendet wurden und die verbliebenen Waggons ca. vor 40 Jahren aus der damaligen DDR. Unter sozialistischen Brüdern half man sich halt noch. Gestern in Tirana habe ich nichts mehr von dieser Zeit, nicht einmal in Ansätzen, gesehen. Hier am Bahnsteig aber noch ein lebendiges Stück Zeitgeschichte des Steinzeitkommunismus.
Pünktlich am nächsten Tag vor Abfahrt finde ich mich wieder am Bahnhof ein und löse bei einer, ebenfalls wenige Worte Englisch sprechenden Dame, ein Ticket für ca. € 1,80. Die Fahrt für die ca. 75 km wird so ungefähr drei Stunden dauern. Ich nähere mich dem Zug, der aus einer Lok und zwei Waggons besteht, hieve meine Tasche in den Waggon und klettere die 1,5 m über die eine Stufe hinein. Drinnen begrüßt mich eine sichtlich überraschte Schaffnerin, die sicherlich nicht sehr viele Touristen zu sehen bekommt. Freundlich deutet sie mir, dass ich freie Platzwahl hätte, aber außer noch ca. 5 Mitreisenden sind bis jetzt zumindest keine Leute da. Ich hebe meine Tasche in der Mitte des Waggons auf die Gepäckablage und erkunde die zwei Waggons. Obwohl eine der zwei Zugbegleiterinnen den Boden gerade kehrt, steht hier alles vor Dreck und Staub. Bei den vielen ausgeschlagenen Scheiben ist das auch kein Wunder.
Auf den Sitzen Platz zu nehmen, kaum vorstellbar, so verstaubt. Die Hälfte der ursprünglichen Fenster sind vorhanden, aber so mit Farbe und Dreck verschmiert, dass man als Photograph froh über die fehlenden Scheiben ist. Der aktuelle Mund-Nasen-Schutz erübrigt sich ob der vielen frischen Luft auch. Schnell merke ich, was mein Fahrer am Vortag gemeint hat. Den Zug würde wohl außer „denen“ hier niemand mehr benutzen. Mit „denen“ sind offensichtlich die nun auf etwa 15 Leute angewachsene Gruppe der Roma gemeint, die sich im hinteren Teil des Waggons breit machen. An mir zeigen sie aber kein Interesse. Dazu kommen noch zwei Kosovoalbaner aus der Westschweiz, die ebenfalls diese Zugsfahrt als Abenteuer sehen und mir mein sehr bescheidenes Schulfranzösisch wieder etwas mobilisieren.
Pünktlich rattert unser Zug in einer schwarzen Dieselwolke aus dem Bahnhof von Durres und erreicht eigentlich sofort seine Höchstgeschwindigkeit, bei der ein Sprinter wohl sicher eine Zeit lang daneben her laufen könnte. Alles wackelt und quietscht erbärmlich, als wir die Bucht von Durres an der Küstenstraße entlang ruckeln. Ca. alle 15 Kilometer bleibt der Zug an einer Station stehen und Leute steigen ein und aus. Da allerdings außer den Schweizern und mir keiner seine Fahrkarte vorzeigen muss und offensichtlich auch nicht hat, dürfte der Bruttoerlös dieser Fahrt kaum € 5,- übersteigen. Die zwei Schaffnerinnen unterhalten sich prächtig mit uns, sorgen bei den herumtollenden Kindern ab und zu wieder für Ordnung und binden die Türen mit Draht wieder fest, falls sich der durch das Gerüttel löst.
Auch außerhalb des Zuges geht das Landleben Albaniens recht gemütlich von statten. Schäfer hüten ihre Herde, Bauern ernten den Mais und die Kühe grasen die Felder ab. Ab und zu „verschönert“ noch einer von den 40.000 Verteidigungspunkern aus früheren Zeiten die Landschaft. Dermaßen massiv aus Stahlbeton errichtet, lassen sich diese Ungetüme kaum noch entfernen und dienen heute als Lagerstätte für so gut wie alles. Ab und zu erinnert uns ein schmerzhafter Schlag, dass die Büsche bis ganz Nah an die Geleise heranwachsen. Was macht man nicht alles für einen guten Schnappschuss.
Irgendwie vergehen diese dreieinhalb Stunden viel zu schnell. Als wir am frühen Abend in Elbasan ankommen, schmerzt zwar jeder Knochen im durchgeschüttelten Körper, aber glücklich diese Fahrt gemacht zu haben, werfe ich meine Tasche aus dem Waggon und springe runter auf den Bahnsteig und zieh meine Tasche zufrieden in Richtung Hotel.
Euer Gerhard Rieder